Abb. 1: Felsmalerei in Nordaustralien
Abb. 2: Albert Namatjira, In the Ranges, Mount Hermannsburg, ca. 1950, Aquarell und Farbstift auf Papier, abgedruckt in: Benjamin, Roger und Weislogel, Andrew C. (Hg.): Icons of the Desert: Early Aboriginal Paintings from Papunya, Herbert F. Johnson Museum of Art, Cornell University, New York 2009, S. 29
Abb. 3: Papunya Schulmauer, Juni-August 1971, abgedruckt in: Bardon,
Geoffrey und Bardon, James: Papunya. A Place Made After the
Story. The Beginnings of the Western Desert Painting Movement,
Melbourne 2004, S. 17
Einführung in die indigene Kunst
Die ältesten, bis zu 30.000 oder 40.000 Jahre alten künstlerischen Äußerungen der Menschheit sind Felsmalereien und Felsritzungen in Australien mit ihren Symbolen, z. B. den konzentrischen Kreisen, die auch heute noch in der Malerei Verwendung finden.
Die Malerei auf Rinde mit Erdpigmenten und natürlichen Bindern
war - soweit bekannt - der nächste große Schritt in der Kunst
der indigenen Australier. Es ist unbekannt, wann sie entstand
und wie weit verbreitet sie war. Die australischen Quellen sagen
dazu Unterschiedliches und Widersprüchliches. Sicher ist, dass
es sie im 19. Jahrhundert gab, denn Missionare und Ethnologen
haben Beispiele solcher Arbeiten auch in die europäischen
Völkerkundemuseen getragen.
Relativ frühe Beachtung erfuhr indigene Kunst durch die australische Malerin Margaret Preston. Ihre Veröffentlichung "The Indigenous Art of Australia" von 1925 schlug vor, die Ausdrucksweisen und Ästhetik der indigenen Kunst zu nutzen für die Entwicklung einer nationalen australischen Kunst. Da sich eine nationale Ästhetik aber nur durchsetzen könne, wenn sie breiteste Akzeptanz gewönne, sollte indigene Symbolik in dekoratives Design umgesetzt und verbreitet werden. Insofern war Margaret Preston nicht frei von einem kulturellen Imperialismus. (1)
Seit 1926
verwendeten indigene Künstler auf der Missionsstation
Hermannsburg in der Nähe von Alice Springs europäische Techniken
und Materialen. Zu nennen ist hier der erste in ganz Australien
berühmt gewordene indigene Künstler Albert Namatjira (1902-1959)
mit seinen Aquarellen, den man als den Begründer der
Hermannsburg School der Landschaftsmalerei bezeichnen kann.
Anders als in der westlichen Malerei weisen seine Aquarelle
selten ein den Blick anziehendes Zentrum auf, und zumeist sind
alle Bereiche des Aquarells detailliert ausgemalt.
Erstmals wurden um 1940 auf der Mission Ernabella Frauen
ermuntert zu malen und erhielten dafür ebenfalls europäische
Materialien.
Ein nächster und entscheidender Sprung - nicht nur, was die Maltechniken angeht, sondern die Entwicklung insgesamt - wurde zu Beginn der 1970er Jahre gemacht, und zwar in Papunya, einer kleinen Siedlung etwa 250 km nordwestlich von Alice Springs. 1971 kam der Kunsterzieher Geoffrey Bardon nach Papunya, um an der dortigen Schule zu unterrichten.
Ohne Erfolg versuchte er, die Kinder davon zu überzeugen, Bilder in der den indigenen Australiern eigenen Formensprache zu gestalten. Dies konnte keinen Erfolg haben, weil Kinder das Wissen über die Beziehungen zwischen Land, Mensch, mythologischen Geschichten und Geschichte im Sinne von Historie sowie ihre Umsetzung in Zeichen und Malerei noch nicht haben. Denn die Vermittlung dieses Wissens beginnt zwar im Kindesalter, setzt sich aber bis weit in das Erwachsenenalter fort.
Auf umso größeres Interesse stieß Bardon bei einigen Männern der Siedlung, als er vorschlug, die Wände der Schule zu bemalen. Die Männer fertigten zunächst Entwürfen auf Papier an - ein Vorgehen, das heute Künstler nur sehr vereinzelt anwenden -, und innerhalb kürzester Zeit waren die Wände der Schule mit Gemälden bedeckt. Sie sind wenig später in einem Akt des Vandalismus auf Veranlassung der weißen Schulbehörde übertüncht worden.
Die gemeinsame Arbeit an den Wandgemälden führte dazu, dass die Männer nach Malmaterialien verlangten, die ihnen Bardon beschaffte, nämlich Acrylfarben und Leinwand. Damit eröffnete er den Künstlern erstmals die Möglichkeit, ihre Malerei auf dauerhaftem Material auszuführen. Und er eröffnete ihnen etwas, was angesichts der auch heute noch weit verbreiteten Armut, der schlechten Gesundheitsversorgung, der so gut wie vernachlässigbaren Möglichkeiten, Arbeit zu finden, um Geld zu verdienen, äußerst wichtig war und ist: die entstandene Kunst auszustellen und sie natürlich auch zu verkaufen.
Das wichtigste aber war, neben dem Kampf für Landrechte einen Weg gefunden zu haben, das in Form von Malerei zu bewahren, zu dokumentieren und zu vermitteln, was von den kulturellen Eigenheiten nach all den Verfolgungen über Generationen hinweg übrig geblieben war. (2) Wobei die Vermittlung in zwei Richtungen gleich wichtig ist: an die eigenen Nachkommen und an die nicht-indigene Gesellschaft.
Die Ereignisse in Papanya waren die Initialzündung für eine sehr rasche Ausbreitung einer Neuen Kunstbewegung, die sich innerhalb kürzester Zeit zu einer säkularen Kunst unterschiedlichster Malweisen entwickelte.
Anmerkungen
(1) vgl. Mitchell Rolls: Painting the Dreaming White, in: Australian Culture History 24, 2006, S. 3-28
(2) vgl. Bähr, Elisabeth: Kurze Geschichte von Schwarzen und Weißen, in: Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen (Hg.): Bilderwelten in Utopia. Holzschnitte und Gemälde von Aborigines, Aboriginal Art Verlag, Speyer 2004, S. 103-109
Weitere Literatur
Altendorf, Ulrike und Hermes, Liesel (Hg.): Australien - Facetten eines Kontinents, Stauffenburg Verlag, Tübingen 2010
Margaret Preston: The Indigenous Art of Australia, in: Art in Australia 3 (11), März 1925