Rezension einer Kunstausstellung
23.07.1993 - 10.10.1993 'Aratjara. Art of the First Australians. Traditional and Contemporary Works of Aboriginal and Torres Straight Islander artists'
Diese Rezension wurde von den Seiten 382-384 des deutschsprachigen Buches 'Erzählte Welt. Zeigenössische indigene australische Kunst' übernommen.
Rückblick auf die Ausstellung
Der Titel der Ausstellung, die die indigene australische Kunst als zeitgenössische Kunst erstmals in Deutschland sichtbar machte, lautete 'Aratjara. Kunst der ersten Australier' mit dem Untertitel 'Traditionelle und zeitgenössische Werke der Aborigines und Torres Strait Islanders', die vom 24. April bis zum 4. Juli 1993 in der bedeutenden Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf ausgestellt wurde und anschließend nach London in die Hayward Gallery sowie nach Humlebæk ins Louisiana Museum für Moderne Kunst reiste.[1]
Die ersten Kontakte und Planungen für die Ausstellung erstreckten sich über acht Jahre mit einem heroischen Engagement auf zwei Kontinenten. Der in der Schweiz geborene Künstler und Kurator Bernhard Lüthi stand in Deutschland im Mittelpunkt der Konzeption und nutzte aus seiner langen Karriere alle persönlichen und beruflichen Kontakte, um Kooperationen mit renommierten Museen zu verwirklichen und zwei Millionen DM (ca. 1,6 Mio. € im Wert von 2020) an Fördermitteln einzuwerben. In Australien nutzten die indigenen Aktivisten Gary Foley und Charles (Chicka) Dixon und der indigene Künstler Lin Onus alle Kontakte zu Künstler*innen und ihre beruflichen Rollen im Aboriginal und Torres Strait Islander Arts Board des Australia Council (ATSIAB). Als Ergebnis standen ca. 150 Kunstwerke als Leihgaben von Künstler*innen, aus privaten Sammlungen und von großen Museen in Australien zur Verfügung. Foley und Dixon wurden nicht wieder in den Rat berufen, aber ihre Nachfolger in ATSIAB unterstützten die Ausstellung, als sie schließlich 1993 bis 1994 gezeigt wurde; ATSIAB finanzierte die Reisen von siebzig Künstler*innen und anderen, damit sie mindestens einen der drei Ausstellungsorte besuchen konnten. [2]
Das Konzept der Ausstellung, wie in den einleitenden Abschnitten des Katalogs beschrieben, war, die Kunst und die Künstler*innen für sich selbst sprechen zu lassen. Das hatte zur Folge, dass etwa die Hälfte der siebzehn Textkapitel von indigenen Autoren geschrieben wurden und die Kunstwerke aus ganz Australien stammten, von der Südspitze über die zentralen Wüstengebiete bis zu den Inseln der Torres-Straße im hohen Norden. Gedacht als Gegengewicht zu den chauvinistischen Feierlichkeiten der 200 Jahre Kolonialherrschaft 1988, waren politische Aussagen, die Rassismus anprangerten oder Landrechte einforderten, in den Kunstwerken aus dem Süden, aber auch in den Rindenmalereien aus dem Norden sehr deutlich. Wie Galarrwuy Yunupiŋu schrieb:
'So wie unser Kampf um Landrechte ungebrochen weitergeht, werden wir auch darum kämpfen, unsere Kultur zu bewahren und lebendig zu erhalten, denn unser Land und unsere Kultur sind untrennbar mit unserem Leben verbunden. Daher bitte ich die Leser, sich dies immer wieder vor Augen zu halten […]. Ich bitte Sie nicht darum, die Schönheit der Arbeiten zu ignorieren; meiner Ansicht nach übertrifft unsere Kunst die anderer Völker ? meine eigenen Vorurteile kann ich nicht ignorieren! Doch ich bitte nachdrücklich darum, sich zu vergegenwärtigen, dass die Gemälde nicht einfach schöne Bilder sind. Sie handeln von den Gesetzen, vom Leben der Aborigines. Sie handeln auch von unserem 200 Jahre währenden Widerstand und unserer Weigerung, das Land unserer Vorfahren zu vergessen. Sie handeln vom kulturellen, sozialen und politischen Überleben. Deutlicher kann man es nicht sagen.' [3]
Djon Mundine wurde als Wanderkurator für die Ausstellungen ausgewählt, ein Experte für indigene Kunst. Er war bereits 1988 in Australien als Initiator des 'Aboriginal Memorial', einer Installation von Künstler*innen aus dem zentralen Arnhemland, bekannt. Das 'Aboriginal Memorial', das 200 hohle bemalte Baumstämme zeigt, die jeweils eines der 200 Jahre seit der Annexion Australiens im Jahr 1788 symbolisieren sowie den Tod vieler indigener Menschen, ist seit 1988 Teil der ständigen Ausstellung der National Gallery of Australia.
Mundine verwies darauf, dass 'Aratjara' in allen Veranstaltungsorten mit insgesamt mehr als einer Viertelmillion Besuchern sehr gut besucht war und dass alle Kataloge verkauft wurden. Allerdings beobachtete er immer wieder, dass die Besucher ein anderes Ausstellungsformat als das für zeitgenössische europäische Kunst übliche erwarteten:
'Die Kuratoren versuchten, die Ausstellung modernistisch zu hängen - um jedem Stück viel Raum zu geben, damit sich die Zuschauer auf seine individuellen Eigenschaften konzentrieren konnten. Die Beschriftung der Werke war minimal - Name der Arbeit, Künstler, Datum, Land und Materialien -, so wie es bei jeder anderen zeitgenössischen Kunst der Fall wäre. Wie könnte der Betrachter die Arbeit ohne ausführliche Information und Fotografien verstehen (trotz des umfangreichen Katalogs, eines Audio-Guides und mehrerer informativer Handzettel)?' [4]
Geplant war die Ausstellung indigener australischer Kunst als zeitgenössische Kunst. Sie versuchte, viele der zuvor beschriebenen Artifizierungsfaktoren zu maximieren: Die Kunstwerke waren wertvolle Leihgaben großer australischer Kunstmuseen (d. h. 'zeitgenössisch', 'Luxus'), mit klarer Herkunft (d. h. von einzelnen Künstler*innen), sie wurden in einem bedeutenden deutschen Museum für zeitgenössische Kunst ausgestellt ('Förderung') und von einem großen Team kenntnisreicher Kuratoren ausgewählt ('Befürwortung'). Die Ausstellung referenzierte Themen der Inspiration und Technik in einem 350-seitigen Katalog in deutscher Sprache ('Erklärbarkeit') und wurde von der australischen Regierung unterstützt ('Förderung'). Leider fehlte ein stabiles und lokales oder überörtliches Netzwerk von Kunstwissenschaftlern, um den weiteren Diskurs über diese Kunst zu führen ('Befürwortung').
Weitere Rezensionen
Ingram, Terry. 'Germany taps into Aboriginal Art', Financial Review, 29. April 1993. Siehe www.afr.com/life-and-luxury/arts-and-culture/germany-taps-into-aboriginal-art-19930429-k5d9v.
Haase, Amine. "Aratjara, Kunstforum International, Bd. 123, 1993. Abgerufen am 7. Juli 2024 unter www.kunstforum.de/artikel/aratjara/
Gilchrist, Stephen. Video-Vortrag: Definierende Momente: Aratjara: Art of the First Australians', veröffentlicht am 12. Oktober 2020. Abgerufen am 7. Juli 2024 unter acca.melbourne/video/defining-moments-aratjara-art-of-the-first-australians-fluent-with-dr-stephen-gilchrist/
Referenzen
[1] Lüthi, Bernhard (Hg.): Aratjara. Kunst der ersten Australier. Traditionelle und zeitgenössische Werke der Aborigines und Torres Strait Islanders, Köln 1993, Ausst. Kat.
[2] Mundine, Djon. 'Ich Bin ein Aratjara: 20 years later'. Artlink 33, Nr. 2 (Juni 2013): 50. Verfügbar unter https://web.archive.org/web/20140304071527/https://www.artlink.com.au/articles/3952/ich-bin-ein-Aratjara-20-years-later/.
[3] Yunupiŋu, Galarrwuy: Der Schwarz/Weiß-Konflikt'. In: Caruana, Wally (Hrsg.): Windows on the Dreaming: Aboriginal Paintings in the Australian National Gallery, Canberra 1989, S. 16-17.
[4] Mundine, Djon. 'Ich Bin Ein Aratjara: 20 Jahre später'. Artlink 33, Nr. 2 (Juni 2013): 52. Verfügbar unter https://web.archive.org/web/20140304071527/https://www.artlink.com.au/articles/3952/ich-bin-ein-Aratjara-20-years-later/.