Rezension einer Kunstausstellung
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31.10.2024 Kunst entdecken in Frankfurt: Discovery Art Fair vs. Weltkulturen Museum
Am 31. Oktober fand in Frankfurt sowohl die Eröffnung der Discovery Art Fair auf dem Messegelände als auch die Eröffnung der Ausstellung 'Country bin pull 'em!' im Weltkulturenmuseum statt. Erstere ist eine kommerzielle Messe für zeitgenössische Kunst 'um junge, frische Kunst zu präsentieren ... für (neue) Sammler und Kunstliebhaber', während letztere zeitgenössische Kunstwerke aus einer abgelegenen australischen Region (der Kimberley, im Nordwesten Australiens) zusammen mit Fotos und Skizzen zeigt, die von der Frobenius-Expedition vor 85 Jahren nach Frankfurt gebracht wurden und die Felskunst der Kimberley zeigen.
Einerseits zeigte dies einen erstaunlichen Kontrast zwischen Themen, die von städtischen Künstlern (aus Frankfurt oder sogar aus Tokio) und solchen, die von Künstlern aus einer sehr abgelegenen Region Australiens dargestellt wurden. Andererseits reagierten beide Gruppen von Künstlern auf Themen, die in ihrem täglichen Leben präsent sind. Für die Künstler aus dem Land der Woddordda, Ngarinyin und Wunambal gehört dazu auch die Bewahrung ihres Erbes.
Ausstellungsrückblick
Könnte der Kontrast größer sein? Die Discovery Art Fair ist eine Art Speed-Dating von Galerien oder Künstlern mit einem trendigen Publikum; die Ausstellung im Weltkulturen Museum zeigt ein langsam wachsendes gemeinsames Verständnis zwischen deutschen Ethnologen in Frankfurt und den Künstlern und Ältesten einer nordwestaustralischen Gemeinde von heute. Was hatten die beiden Veranstaltungen für die Besucher gemeinsam? Eine tiefe Neugierde in den Herzen der kunstinteressierten Besucher und ein gewisses Schleudertrauma in ihren Köpfen aufgrund des schnellen Wechsels zwischen verschiedenen Konzepten und Medien.
Erstens wurde die Discovery Art Fair ihrem Ruf gerecht: 'erschwingliche Kunst', sachkundige Galeristen und einige entmutigte Künstler, die es leid waren, die Menschenmassen mit glasigen oder schielenden Augen an sich vorbeiziehen zu sehen und ihre Werke meist ignoriert zu bekommen. Die Skulptur im Vordergrund unten ist von Frank Leske und wurde nicht ignoriert.Es gab eine große Bandbreite an Medien, viel Talent und auch einige ziemlich banale oder ekelhafte Ergebnisse. Das ist Kunst: ein Fenster in eine andere Welt, aber manchmal möchte man die Vorhänge einfach zuziehen.
Das Gespräch mit den Künstlern/Galeristen kann einen in konzeptionelle Räume außerhalb der eigenen Komfortzone führen. In einer Galerie aus Tokio entdeckte ich ein kleines, wunderschönes Kunstwerk, 'Proof of Life' von Rie Suzuki, das ich überhaupt nicht verstand (sogar mit Hilfe eines freundlichen Übersetzers) und es daher - wie es üblich ist - als 'abstrakt' bezeichnete. Ich habe es mit nach Hause genommen - man muss Kunst nicht verstehen, um sie zu lieben (aber es hilft).
Discovery Art Fair, 31. Oktober 2024. Gemälde rechts 'Buy Art Save a Crazy Person' von Erich Schobesberger (siehe link).
Die Ausstellung 'Country bin pull 'em!' im Weltkulturenmuseum hingegen verlangte von den Besuchern mehr Nachforschungen, mehr bikulturelle Übersetzungen und deutlich mehr Blinzeln.
Weltkulturen Museum Ausstellungseingangstafel und Beginn einer Führung von den Kurator Matthias Claudius Hofmann und die Co-Kuratorin Leah Umbagai (aus Mowanjum Arts Centre in Derby, Australien).
Die Ausstellung ist das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern des Frobenius-Instituts, des Weltkulturen Museums und den Künstlern in Derby, Australien. Das anfängliche große Unterfangen bestand darin, die erhaltenen Aufzeichnungen (70 % wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört), Fotos und Skizzen von den Malereien an den Felswänden in den Gebieten nördlich von Derby mit den noch vorhandenen Werken zu vergleichen (einige Felskunstwerke wurden vandalisiert, andere sind verfallen). Der Kern der Ausstellung besteht jedoch darin, diese alten Aufzeichnungen mit den modernen Ideen und einigen modernen Kunstwerken von zeitgenössischen Künstlern der Region zu vergleichen. Die 'Wanjina' Motive, die auf Fotos der Felskunst zu sehen sind, inspirieren (oft) noch immer einige der heutigen Künstler des örtlichen Mowanjum Arts Centre. Die 'Wanjina' Motive sind sehr wichtig für die Kulturen der Woddordda, Ngarinyin und Wunambal, die seit 'immer' in dieser Region gelebt haben. Einige der Orte, an denen Felszeichnungen zu sehen sind, wurden auf Zehntausende von Jahren zurückdatiert. [1] Die Mitarbeiter des Weltkulturen Museums konnten aus den modernen Kunstwerken auswählen, um ihre Sammlung zu ergänzen und die historischen Materialien der Ausstellung zu beleben.
Eine Herausforderung für die Ethnologen in Frankfurt bestand darin, zu analysieren, was die Frobenius-Expedition - die außerordentlich pingelig war und deren Mitglieder den Einheimischen gegenüber einfühlsam waren - hinsichtlich der Designs, des Zwecks und auch der 'künstlerischen Freiheit' hinter der Felskunst richtig gemacht hat, und wo sie das Thema völlig verfehlt hat. Für die Einheimischen, die heute aus der australischen Kimberley mitarbeiten, bestand die Herausforderung darin, Konzepte zu erklären, die nicht leicht zu übersetzen sind und die heute anders formuliert werden als von der Generation ihrer Großväter. Ein Beispiel sind die charakteristischen Wanjina-Figuren mit einem breiten Fransenrand um den Kopf, zwei großen Augen, aber keinem Mund. In den Aufzeichnungen der Expedition werden sie als mythologische Helden des Himmels bezeichnet; für die Menschen von heute werden sie als Symbol für die Energie der Stürme, die Erneuerung des Lebens, den Wechsel der Jahreszeiten usw. erklärt.
Eine Herausforderung für die Museumsbesucher in Frankfurt besteht darin, einige Aspekte der Expedition, die auf dem Höhepunkt des Nationalsozialismus unternommen wurde, zu ignorieren und sich auf Fakten, Fotos und Designs zu konzentrieren. Für die Co-Kuratoren aus Australien besteht eine Herausforderung darin, dafür zu sorgen, dass die Informationen wahrheitsgetreu sind, aber auch keine Ideen enthalten, die niemals außerhalb der Gemeinschaft hätten gezeigt werden dürfen. Das Museum hat daher einige Textzeilen in den ausgestellten Dokumenten zensiert bzw. geschwärzt.
Die Frobenius-Expedition kehrte 1939 nach Deutschland zurück, in der Überzeugung, dass die indigene Bevölkerung aussterben würde, geschwächt durch Krankheiten, die Annektierung ihres Landes, mehrfache Zwangsumsiedlungen, harte Arbeitsbedingungen auf den Farmen und die Abhängigkeit von Tabak oder Alkohol. Zwei der Anführer schrieben und veröffentlichten später lange, traurige Bücher (Helmut Petri, 1954, 'Sterbende Welt in Nordwestaustralien'; Andreas Lommel, 1969, 'Fortschritt ins Nichts'). Die Woddordda, Ngarinyin und Wunambal in der Region sind jedoch unnachgiebig: 'Es war immer so und wird so bleiben' ist die Art und Weise, wie sie ihr Land, ihr Volk und ihre Stärke sehen. Der Titel der Ausstellung spielt darauf an, dass es das lebendige Land ist, das die Wissenschaftler aus Frankfurt auf die andere Seite des Planeten, nach Australien, gezogen hat, um eine andere Lebensweise, und eine andere Kunst kennenzulernen.
Dies ist in der Tat Teil der Rolle, die viele indigene zeitgenössische Künstler übernehmen, nämlich ihre lebendige Kultur und die Tiefe ihrer Geschichte zu lehren und zu erklären, sowie ihre Sicht auf die moderne Welt. Die Künstlerin und Co-Kuratorin Leah Umbagai, die im Hintergrund des obigen Fotos zu sehen ist, hat Jahrzehnte damit verbracht, parallel zu ihrer Kunstkarriere über ihre Kultur zu lehren und mit allen, von Kindern bis zu Professoren, zusammenzuarbeiten. [2] So war sie beispielsweise 2004 eine von 6 Künstlern, die mit der Gestaltung eines Titelbildes für eine australische Zeitschrift über Schwangerschaft und Gesundheit beauftragt wurden, [3] wobei das Bild die Haupt-Wanjina namens Wallungunde mit zwei Gyorn Gyorn (Gwion Gwion) als schwangere Frauen zeigte. Dies war eine radikale Neudarstellung bekannter Motive, die ausgewählt wurde, um Ideen von Gesundheit und Erneuerung zu betonen: moderne Kunst aus einer lebendigen Kultur. Im Zusammenhang mit der Dokumentation der Frobenius-Expedition war sie 2016 Mitautorin eines langen Artikels [4] über die Rolle der Kunst in ihrer Gesellschaft, einschließlich der in dieser Ausstellung gezeigten Themen.
Wie Leah Umbagai in der Ausstellungsbroschüre schreibt [5]:
Wir malen nicht einfach irgendetwas, wie es die Aalmara [die Weißen] tun, denn als Künstler [...] haben wir andere Verpflichtungen. Indem wir Bilder aus dem Land und aus unseren Träumen neu malen, ehren wir unser Recht und unsere Kultur, unsere Vorfahren und unser Land. [...] wir beleben all diese Beziehungen und unsere Beziehungen zum gesamten Volk der Wanjina Wunggurr. Wenn wir sie erneuern, erwecken wir sie wieder zum Leben; wir bewahren unser Erbe und unsere Zukunft.
Wie lässt sich also die Kunst auf den beiden Veranstaltungen in Frankfurt vergleichen? Einerseits gab es einen außergewöhnlichen Kontrast zwischen den Themen, die von städtischen Künstlern (aus Frankfurt oder auch aus Tokio) dargestellt wurden, und den Themen, die von Künstlern aus einer sehr abgelegenen Region Australiens dargestellt wurden. Andererseits reagierten beide Gruppen von Künstlern auf Themen, die in ihrem täglichen Leben präsent sind. Für die Künstler aus dem Land der Woddordda, Ngarinyin und Wunambal gehört dazu die Bewahrung ihres Erbes.
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[1]
Sue O’Connor, Anthony Barham, und Donny Woolagoodja, (2008): 'Painting and repainting in the west Kimberley'. In: Australian Aboriginal Studies, Issue 1, 2008, S. 22–38, URL: https://search.informit.org/doi/10.3316/informit.254464209496268
[2]
Anerkannt durch die Autoren von [1]
Anerkannt durch David Throsby und Katya Petetskaya, (2016): 'Integrating art production and economic development in the Kimberley'. Report to Commonwealth Department of Communications and the Arts, Macquarie University, URL: https://apo.org.au/node/252696
Anerkannt durch Frederick Baker (2016) in 'Prähistorischer Minimalismus. Pitoti-Felsgravierungen auf der Schwelle zwischen Analogem und Digitalem'. In: Texte zu den Felsbildern der Sammlung Frobenius, 2016, S. 107–117, URL: https://www.academia.edu/download/58251483/2_-_Pitoti_-_German_language_version.pdf.
Anerkannt durch Prof. Martin Porr in 'Ethnographische Sammlungen neu denken/How to move on with Humboldt'’s legacy? Rethinking ethnographic collections’, November 28th 2017, https://blog.uni-koeln.de/gssc-humboldt/overcoming-distances-and-boundaries/
Anerkannt durch Mike Jones, Ann McGrath, Ben Silverstein und Amy Way, (2023): 'Marking Country: Mapping Deep Histories'. In: ANU Historical Journal II, Issue 4, 2023, S. 161–178, URL: https://search.informit.org/doi/abs/10.3316/informit.481259660874231
[3]
Das Gemälde stammt von Mabel King, Leah Umbagai, Marjorie Mungulu, Sandra Mungulu, Gudu Mungulu und Sahreea McKenzie und hiess 'The Spirit of the Wandjina'. Es wurde als Titelbild von O & G Journal, 2004, der Royal Australian and New Zealand College of Obstetricians and Gynaecologists. Siehe [1] Seite 9.
[4]
Kim Doohan, Leah Umbagai, Janet Oobagooma, Martin Porr, K. H. Kohl, R. Kuba, H. Ivanoff und B. Burkard, (2016): 'Produktion und Befugnis. Über Presentation, Repräsentation und die Zusammenarbeit mit den traditionellen Besitzern der Felsmalereien der Kimberley-Region, Nordwestaustralien'. In: Kunst der Vorzeit. Texte zu den Felsbildern der Sammlung Frobenius, 2016, S. 92–105, URL: https://www.academia.edu/download/42826613/Doohan_et_al_2016_Frobenius_Katalog.pdf
[5]
'Country bin pull 'em', Broschüre für die Ausstellung des Weltkulturen Museums, Frankfurt am Main, Oktober 2024, p.19.